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Der Kupferstich von David Herrliberger zeigt uns die dem Rhein zugewandte Seite
einer imposanten Schlossanlage zur Beherrschung des Brückenübergangs. Sie war
während über fünf Jahrhunderten Sitz von Adelsgeschlechtern, von 58 zürcherischen
Obervögten und Landvögten. Ausser der Schlossscheune ist heute von ihr nichts
mehr erhalten. Wie das stolze Schloss ausgesehen hat, lässt sich nur aus alten
Ansichten, Plänen, Urkunden und Manuskripten rekonstruieren.'

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Plan der Schlossanlage nach
H. Brassel und H. Schaad.
(l) Wehrturm. (2) Ritterhaus. (3) Neues
Schloss. (4) Alte Briicke. (5) Stallungen.
(6) Torhaus. (7) Zollhaus mit Zollstock.
(8) Waschhaus. (9) Knechtekammer.
(10) Untere Mühle. (Il) Schlossscheune.
(12) Lochmiihle. (13) Neues Zollhaus.
(A) Äusserer Schlosshof. (B) Innerer
Schlosshof mit Türmchen. (C) Fahrstrasse
nach Seglingen. (D) Innerer Schlossgraben.
(E) Äusserer Schlossgraben.
(F) Mühlevveiher. (G) Briicke von 1811.

Auf dem linksufrigen Molassefelssporn unterhalb der Rheinhalde errichteten vermutlich die Grafen von Kyburg-Dillingen in der zweiten Hälfte des I l. Jh. einen Wehrturm zum Schutz des Rheiniibergangs, denn hier war der Fluss mit Kähnen oder einer Fähre leicht zu überqueren. Mit grosser Wahrscheinlichkeit baute man ihn auf den Fundamenten und mit den Uberresten eines römischen Wachtturms. 1820 betrug der Grundriss nach den Angaben J. C. Voegelis etwa 9,5 m im Quadrat

die gesamte Höhe mit sieben Stockwerken 40 m. In den unteren Stockwerken sollen
die Mauern 3 m dick gewesen sein. Man baute den Turm mit Kalktuffsteinen
(Travertin) von der Rheinhalde. (Quadersteine von 70 x 70 x 200 cm aus dem
Abbruchmaterial des Turmes wurden 1841 für die Stützmauer an der heutigen
Lochmühlestrasse verwendet.) Die dunkle Farbe und die rauhe Oberfläche der
mächtigen Quader gaben dem Turm ein düsteres, trutziges Aussehen. Nur im obersten Teil war auf zwei Seiten ein rechteckiges Feld verputzt und mit dem Zürcher
Wappen verziert. Der Turm hatte ein vierseitiges Zeltdach und einen aufgesetzten
Dachreiter, ein «Guggehürli». Ein Gewölbe schloss die untersten vier Stockwerke
ab; sie hatten keine Öffnungen, waren vollständig dunkel und nur von oben mit
Leitern zugänglich. Die Tür zum Wehrturm in etwa 12 m Höhe war ursprünglich
nur über einziehbare Leitern zu erklimmen. In den unteren Stockwerkenw urden
Vorräte und Waffen gelagert, das unterste diente wohl als Gefängnis. In den oberen
drei hausten der Burgvogt, seine Waffenknechte und der Turmwächter, der von
seinem Guggehürli Ausblick auf die Ebene von Oberseglingen hatte. Der Burgherr
und seine Familie zogen sich wohl nur im Notfall in den Wehrturm zurück.
An die Nordseite des Wehrturms bauten die Freiherren von Tengen vermutlich
schon während der Stadtgründung einen Wohnturm, das Ritterhaus (2). Es hatte
einen leicht grösseren Grundriss und war mit drei bis vier Stockwerken und einem
Walmdach etwa 27 m hoch. Der gedeckte Eingang lag auf der Ostseite. Zum Eingang
des Turms gelangte man nun über eine hölzerne Galerie. Ein zweites Wohnhaus
baute sich der Stadtherr in der Stadt, «sin hus, das man nennt hof».3Das Hofhaus
erwarb die Stadt 1522 und richtete es als Rathaus und Kaufhaus ein.
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Turm.PNG

Dem Rhein entlang wurde im Spätmittelalter in gotischem stil ein niedrigeres langes Gebäude mit unregelmässigem, kreuzförmigem Grundriss gebaut, das sogenannte  neue Schloss (3). Es enthielt repräsentative Prunkräume, eine grosse Küche und zahlreiche, zum Teil heizbare Wohngemächer. Hier wohnten nun die Stadtherren und später die Landvögte mit ihren Familien. Im Erdgeschoss des Querbaus führte vom  Brückenende die Fahrstrasse (C) in einem etwa 25 m langen, gekrümmten Tunnel, dem «finsteren Loch», direkt in den äusseren Schlosshof und im rechten Winkel zum Torhaus. Über dem Tunnel lagen die Wohnräume der Dienstboten, vermutlich auch das Zeughaus; am südlichen Ende des Querbaus befand sich später das Audienzzimmer des Landvogts. Im chorartigen östlichen Ende des Langhauses soll sich seine Rebhühnerkammer befunden haben. Auch eine Badstube gab es im neuen Schloss. Sie ist ebensowenig zu lokalisieren wie die ehemalige Schlosskapelle, in der bis zur Reformation ein Kaplan regelmässig die Messe las. Im Inventar von 1526 wird ein «kestli in dem kapelli, darin etlich messgwand und messbücher» erwähnt. 4 Die Pergamentblätter der Messbücher verwendetem an zum Einbinden der Vogteirechnungen. Parallel zur Westwand von Wehrturm und Ritterhaus zog sich ein Gebäudetrakt den Abhang hinauf.

 

In den Stallungen (5) waren die Reitpferde und das zum Gutsbetrieb gehörige Vieh untergebracht. Die Strasse von Seglingen führte steil zum mittleren Gebäude, dem Torhaus (5)
hinab. Die Fuhrleute mussten ihre Gespanne gut im Zügel halten, denn der Torbogen
war nur 3 m breit. Die Torhalle bot Platz für einen «Sandghalter» und die
Feuerspritze. Nachts wurde das mit Flügeln versehene Tor nur mit dem Zuggatter
geschlossen. N
ach aussen war der Torbogen mit einem Zürichschild geziert. In
einer Nische zum Schlosshof stand der Zollstock; im Kupferkessel der mächtigen
eisenbeschlagenen Truhe wurden die Zollmünzen eines ganzen Jahres gesammelt.
An das Torhaus schloss das Zollhaus (6) an, wo der Zoller mit seiner Familie
wohnte. Die schrägen Strebemauern der beiden spitzwinkligen Gebäudeflügel bildetend
as südliche Bollwerk der Schlossanlage. Das alte Zollhaus wurde erst 1852
abgebrochen, die Zollstätte aber schon 1811 an die neue Holzbrücke verlegt. Das
neue Zollhaus (13) diente bis zum Rheinstau von 1917 als Postgebäude.
Die Lochmiihle( 12) hinter dem Zollhaus war Privatbesitz. Erwähnt wird sie erstmals
1683. 5 Betrieben wurde die Lochmühle mit dem Wasser aus dem Seglinger
Miihleweiher( F).
An der Südwestseite standen zwei leicht gebaute Nebengebäude, das Waschhaus (8)
und die Knechtekammer (9). Einige Meter tiefer im Schlossgraben befand sich die
Untere Miihle (10), die zur Versorgung des Schlosses diente.
Die Schlossgebäude umschlossen zwei innere Plätze. Durch den äusseren Schlosshof
(A)f ührte die Fahrstrasse; sie senkte sich vom Torbogen ziemlich steil zum finsteren
Loch des Tunnels bis zur alten Brücke (4) .
Der innere Schlosshof (B) war um einige Stufen erhöht; von der Strasse trennte eine
Sogenannt«e Schnegg» trug einen spitzen, achteckigen, später einen barock geschwungenen Helm. Ein zweites Türmchen stand auf der Terrasse vor dem Ritterhaus.

 

Die Schlossscheune (l), das einzige heute noch erhaltene Gebäude der Anlage, lag
ausserhalbd es Grabens. Sie diente dem Gutsbetrieb des Schlosses, aber auch als

Zehntenscheune für den Fruchtzehnten, den die Bauern der Herrschaft Eglisau zuhanden des Zürcher Kornamts abzuliefern hatten. Mit ihren massiven Mauernund der fensterlosen Aussenwand bildete die Scheune einen zusätzlichen Schutzgegen Norden.

Zwei Gräben sollten die Annäherung ans Schloss erschweren. Der innere Burggraben
(D) zog sich um die ganze dreieckige Schlossanlage herum, südwärts vom
Rhein bis zum Zollhaus und dann hinter dem Torhaus und den Stallungen wieder
zum Rhein hinab. Westwärts bildete der Schübelbach den äusseren Burggraben (E)
vom Mühleweiher bis zum Rhein. Über den inneren Graben führte die Fahrstrasse
ursprünglich auf einer hölzernen Brücke, später auf drei gemauerten Bögen. 6 Der
steinerne Brückenbogen über dem äusseren Graben ist noch heute erhalten.
Gegen den Rhein wurden vor den Gebäuden zinnenbewehrte Mauern mit Schiessscharten errichtet. Eine Mauer schloss auch die Lücke zwischen der Knechtekammer und dem «finsteren Loch». Ohne Fundament gebaut, sollen Teile davon schon früh abgerutscht sein.


Nur einmal, im Jahr 1455, wurde das Schloss vom Zürcher Stadtbanner belagert
und nach wenigen Tagen erobert: Dabei erwies es sich als grosser Mangel, dass die
Verteidigungsanlagen einseitig gegen den Rhein hin, zum Schutz der Brücke, ausgerichtet waren. Zur Rheinhalde hin, die das Schloss überhöhte, war eine Verteidigung schwierig. 1799 trotzten die Mauern des Schlosses dem Beschuss österreichischer Geschütze.

In der Zeit des Umsturzes liess man die Anlage als Symbol der verhassten alten
Herrschaft verkommen. Das Langhaus am Rhein wurde 1811 abgebrochen, um
Platz für den Brückenkopf der neuen Briicke (G) zu schaffen. Als 30 Jahre später
die neue Strasse nach Seglingen gebaut wurde, brach man auch den Wehrturm und
das Ritterhaus ab, obwohl man den Platz nicht benötigte. Niemand wehrte sich
dagegen; Denkmalpflege war damals ein unbekannter Begriff. Die Mauern dienten
lange Zeit als Steinbruch. Übrig blieben nur die Schlossscheune und die Lochmühle.
Die von der Gemeinde gepachteten Schlossgüter verkaufte man 1814 an Private,
das kulturhistorisch wertvolle Inventar vergantete man Händlern und Liebhabern,
wohl zu Schleuderpreisen, ebenso Möbel, Bilder, Glasmalereien und Bildschnitzereien. Erhalten blieb eine schöne Wappenscheibe, die das Landesmuseum 1950 in den USA erwerben konnte. Eine Kopie befindet sich im Weierbachhaus.

Abbruch.PNG

Der Abbruch des Schlosses... Schon 1811
hatte man das Langhaus am Rhein abgebrochen,
um Platz fiir die neue Holzbrücke zu gewinnen. Als 1841 die neue Strasse nach Seglingen gebaut wurde, verwendete man die mächtigen Tuffsteinquader des Turms zur Errichtung einer Stützmauerfiir die neue Zufahrtsstrasse zur Briicke, die heutige Lochmiihlestrasse. Die restlichen
Gebäude dienten als Steinbruch. Lithographie
von J. F. Wagner aus «Ansichten
von Burgen und Schlössern und Ruinen
der Schweiz, nach der Natur gezeichnet»,
1840. Der 1801 geborene Wagner wanderte 1856
nach den USA aus und blieb verschollen.

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